Kollektivschuld

Kollektivschuld
Kol|lek|tiv|schuld 〈f. 20; unz.〉 Schuld, die einer Gemeinschaft für das von einem (od. einigen) ihrer Glieder begangene Unrecht beigemessen wird

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Kol|lek|tiv|schuld, die <o. Pl.>:
moralische Schuld einer Personengemeinschaft als Gesamtheit.

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Kollektivschuld,
 
Ethik und Recht: der gegenüber einer bestimmten Gruppe oder Gesamtheit erhobene Schuldvorwurf wegen unmoralischer oder verbrecherischer Handlungen Einzelner oder einer größeren oder repräsentativen Anzahl von Angehörigen dieser Gruppe oder ihrer Gesamtheit ohne Rücksicht darauf, ob auch die Übrigen sich durch Mitwirkung, Billigung oder Duldung individuell schuldig gemacht haben. Die Annahme einer Kollektivschuld setzt eine moralische Verantwortung kraft Zugehörigkeit zu einer Personenmehrheit, nicht kraft individueller Schuldzurechnung voraus und ist deshalb mit einer aufgeklärten Moral nicht vereinbar, die nur eine persönliche Verantwortung und damit nur einen individuellen Schuldvorwurf anerkennt; so insbesondere im heutigen Strafrecht (Schuld).
 
Der im und nach dem Zweiten Weltkrieg erhobene Vorwurf einer Kollektivschuld des deutschen Volkes für die Verbrechen des Nationalsozialismus ist umstritten geblieben. Dies gilt bereits für die über diesen Anlass hinausreichende grundsätzliche Frage, ob es überhaupt die Kollektivschuld eines Volkes geben kann. Zum Teil wird die Meinung vertreten, dass ein Volk, das handelnde Organe habe, eine Kollektivpersönlichkeit besitze, die zu gemeinsamer Verantwortung und somit zu gemeinsamer Schuld fähig sei (F. Spiegel-Schmidt). Demgegenüber wird die Kollektivschuldthese mit der Begründung verworfen, dass Kollektivschuld ein Kollektivgewissen voraussetze, das es aber nicht gebe (M. Niemöller). Ferner wird die Kollektivschuldthese mit dem Argument abgelehnt, dass sie die »Bewältigung der Vergangenheit« eher behindert habe. So sei nach 1945 eine »Siegerjustiz« etabliert worden, in der eine Atmosphäre entstanden sei, die wirkliche und vermeintliche Täter sowie Unschuldige moralisch in gleicher Weise geächtet habe. Dies habe den wirklichen Tätern das (auch soziale) Untertauchen erleichtert, und es sei Unrecht begangen worden an denjenigen, die sich als Gegner des Regimes bewährt hatten, sowie an denjenigen, denen der Nationalsozialismus, v. a. durch den Krieg, schwere Opfer aufgebürdet hatte (R. Herzog).
 
In den deutschen evangelischen Kirchen setzte die Diskussion um die Kollektivschuld v. a. nach dem vom Rat der EKD am 18./19. 10. 1945 verabschiedeten Stuttgarter Schuldbekenntnis ein, in dem sich die evangelischen Kirchen (ohne das Wort Kollektivschuld zu verwenden) zu einer »Solidarität der Schuld« mit dem deutschen Volk bekannten. Gemeint war damit nicht eine Kollektivschuld im politisch oder rechtlich einklagbaren Sinn, sondern die Anerkennung eigener Schuld, der man sich nicht durch Berufung auf »Nicht-Wissen« oder den Hinweis auf die »Schuld des Anderen« entziehen könne. Ein ähnliches Dokument gibt es in der katholischen Kirche nicht.

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Kol|lek|tiv|schuld, die <o. Pl.>: moralische Schuld einer Personengemeinschaft als Gesamtheit: Dort stieß er ... mit der Erkenntnis zusammen, dass deutsche K. vorhanden war (Meckel, Suchbild 89).

Universal-Lexikon. 2012.

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